• Herzlich Willkommen bei Mutpol
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Bei den jährlichen Mutpol-Festen öffnet das Jugendzentrum seine Türen für Besucher. (Foto: Scheuring/Mutpol)


TUTTLINGEN – Auf dem Gelände der Jugendhilfeeinrichtung Mutpol wird gebaut. Rot-weißes Absperrband grenzt das Areal ab. Ein Bagger hat die Erde plattgemacht, nun können die Arbeiten für den Anbau beginnen. „Wir platzen aus allen Nähten“, erklärt Dieter Meyer, Gesamtleiter von Mutpol. Der Verwaltungstrakt wird erweitert, auch die zur Einrichtung gehörende Gotthilf-Vollert-Schule bekommt mehr Platz.

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Dieter Meyer, Gesamtleiter von Mutpol (Foto: iw)

Denn die Schülerzahlen steigen an, das gilt auch für die Nachfrage nach Plätzen in den Wohngruppen für Kinder und Jugendliche. Zudem werden die Kinder in den Heimsettings immer jünger. Mittlerweile gibt es in anderen Hilfseinrichtungen auch Wohngruppen für unter sechsjährige Kinder. „Wir müssen nicht alles mitmachen, aber diskutieren sollten wir es“, findet Meyer. Denn der Bedarf bestehe.

Spiegel der Gesellschaft

Meyer fasst die Situation in einem Satz zusammen: „Wenn wir gut belegt sind, zeigt sich, wie schlecht es der Gesellschaft geht.“ Nicht nur die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die in Einrichtungen wie Mutpol beschult und betreut werden, nehme zu, sondern auch der Anspruch. „Es geht mehr und mehr darum, individuelle Angebote zu kreieren. Denn oft lässt die Biografie der jungen Menschen eine Unterbringung in einer Wohngruppe gar nicht mehr zu.“ Viele hätten einen jugendpsychiatrischen Hintergrund, teilweise schon Zehn- und Elfjährige. In der Praxis bedeute dies, dass sich Aufenthalte in der Jugendpsychiatrie und in Jugendhilfeeinrichtungen abwechseln würden, mit langen Fehlzeiten in der Schule. Diesen Kreislauf will Mutpol durchbrechen. Im Sommer geht die Wohngruppe in Durchhausen an den Start, die in Kooperation mit der Luisenklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Bad Dürrheim auf die Beine gestellt wird (wir berichteten): zwei Sechser-WGs. Betreuung rund um die Uhr. Sieben Tage die Woche.

Es gibt etliche Anfragen auf Unterbringung. Meyer schildert den Fall eines neunjährigen Jungen. Die Mutter sei psychisch krank, der Vater nicht anwesend. Der Bub war bereits in drei anderen Einrichtungen und wurde über viele Monate hinweg nicht beschult.

Solche Biografien bekommt der Mutpol-Leiter immer öfters auf seinen Tisch. „In der Regel gibt es bei diesen Kindern wenig Bindungskontinuität.“ Vereinsamung sei eine Folge des gesellschaftlichen Wandels, auch durch den Rückgang von größeren Familienstrukturen. Dazu komme ein häufiger Partnerwechsel, was für die Kinder einen wiederkehrenden Verlust der Bezugsperson mit sich bringe. Die Eltern böten keinerlei oder nur wenig Struktur, da sie mit sich selbst beschäftigt seien. Also bleiben Wohngruppen übrig. Denn: „Für Pflegeeltern gibt es eine gewisse Grenze dessen, was man stemmen kann.“

Hier kommt Mutpol ins Spiel. Meyer sieht sich damit aber auch am Ende einer langen Kette und fragt provokativ: „Was soll eine Heimunterbringung da noch bringen?“ Viele der Neuzugänge brächten keine oder nur wenig Kompetenzen im Miteinander mit. Sie hätten ihre Empathiefähigkeit verloren oder nie gehabt. Sie agierten oft grenzenlos, auch körperlich. In dieser Summe sieht Meyer aber auch die große Herausforderung. „Es ist eine phänomenale Leistung, das Beste zusammen mit den Kindern entwickeln zu können.“ Oder es zumindest zu versuchen.

Aus diesem Grund hat Mutpol den Storenhof in Mühlingen bei Stockach gekauft. Dort wird Schafzucht betrieben, und es gibt andere Kleintiere. Eine Reittherapeutin ist mit auf dem Hof. Tiere hätten auf manche Kinder und Jugendliche eine heilsame Wirkung, auch Naturerlebnisse brächten oft gute Ergebnisse. Vier Plätze für Jugendliche gibt es, Start war im Oktober 2018. Momentan wird der dritte Jugendliche dort aufgenommen. Meyer: „Wir schauen sehr genau darauf, wer passt, wie es passt, und was das Team gestemmt bekommt.“ Das Obergeschoss des Storenhofs soll ausgebaut werden. Überlegt wird zudem, Bauwägen aufzustellen. „Wir wollen Auszeiten anbieten“, erklärt der Mutpol-Leiter. Hier ist es wieder, das Thema individuelle Maßnahme. Denn zugenommen haben laut Meyer auch die Anrufe von Jugendämtern aus dem gesamten Bundesgebiet, die bereits mehrere Hunderte andere Einrichtungen wegen der Unterbringung eines Jugendlichen angefragt haben. Oft beginnen Gespräche mit diesem Satz: „Haben Sie noch eine Idee?“

Einrichtung sucht Mitarbeiter

Eines tun die Mutpol-Mitarbeiter nicht: Die Situation der Herkunftsfamilie bewerten oder verurteilen. Sie verstehen die Eltern als Partner und versuchen, sie soweit wie möglich einzubeziehen. Ebenso wie die Jugendämter und alle anderen beteiligten Einrichtungen. Fast die Hälfte aller Kinder und Jugendlichen kehrt nach dem Aufenthalt bei Mutpol in ihre Familie zurück (siehe Kasten).

Für solch ein Engagement braucht es Personal. Mutpol sucht ständig Erzieher und Sozialpädagogen. Bis zur Jahresmitte gilt es, sechs Stellen zu besetzen. „Wir müssen Leute haben, die Spaß daran haben, mit Jugendlichen und im Team zu arbeiten, mit leidenschaftlichem Einsatz und mit Humor.“ Ebenso wichtig sei die Beständigkeit. Für Kinder, die mit Bindungen und Beziehungen schlechte Erfahrungen gemacht haben, sei es mehr als schwierig, wenn ihre Bezugspersonen im Heimsetting öfters wechsle.

Nur stundenweise beschult

Dieter Meyer blickt auf seine Anfänge bei Mutpol in Tuttlingen zurück. Zehn Jahre ist das her. „Damals gab es keine Erstklässler in der Gotthilf-Vollert-Schule“, sagt er. Der Weg zu Mutpol ging damals noch über die Regelschule. In diesem Schuljahr hatte er sieben Erstklässler. Meyer war bei der Feier am ersten Schultag dabei. „Und ich habe mich gefragt, wie wir diese Kinder überhaupt beschulen wollen.“ Drei Kinder der Klasse haben momentan nur eine Stunde Unterricht am Tag. Mehr sei nicht möglich. „Die Frage ist: Was passiert im System vorher?“ Denn der Anteil der Kinder, die ins Sonderschulsystem starten würden, bevor sie im Regelsystem waren, nehme zu. Meyers Vorschlag: Durch Prävention zu versuchen, das zu verhindern, und zwar als gemeinsame Anstrengung. Niederschwellige Angebote, wie Quartierszentren, wären aus seiner Sicht ein guter Weg dafür. Diese seien am besten an Normalitätsstrukturen, wie Kindergärten und Kitas, angeknüpft.

„Wir müssen den Jugendlichen drei, vier, fünf und wenn es sein muss auch sechs Chancen bieten, damit sie eine Perspektive erhalten“, sagte Meyer bei seinem Antritt bei Mutpol. An dieser Einstellung hat sich nichts geändert, denn das sei die Verantwortung einer Jugendhilfeeinrichtung. Meyer: „Wir versuchen das. Und wenn es schiefgeht, dann suchen wir Alternativen.“

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Naturerlebnisse seien für viele Kinder heilsam, erklärt Mutpol-Leiter Dieter Meyer. (Foto: Scheuring)


Das ist Mutpol

Die diakonische Jugendhilfe Mutpol hat ihren Stammsitz im Steinigen Tal in der Tuttlinger Nordstadt. Mit rund 400 Mitarbeitern und circa 750 Kindern und Jugendlichen, die betreut werden, stellt sie sich wie ein mittelständisches Unternehmen dar. Finanziert wird die Einrichtung durch die mit dem Kreis Tuttlingen verhandelten Entgeltsätze. Einzelne Angebote sind projektfinanziert. Für besondere Angebote ist die Einrichtung auf Spenden angewiesen.

Knapp 100 Kinder und Jugendliche leben in den unterschiedlichen Wohngruppen der Jugendhilfeeinrichtung. Dieter Meyer: „92 Prozent dieser Kinder und Jugendlichen haben vergangenes Jahr ihren Aufenthalt im vorgesehenen Rahmen des Hilfeplans beendet.“ Nach dem Heimsetting kehrten rund 47 Prozent wieder zu ihren Familien zurück; 37 Prozent leben selbstständig und alleine. Zwei Prozent zogen zu Verwandten, ein Prozent zu Pflegeeltern. Knapp fünf Prozent wechselten in eine andere Jugendhilfeeinrichtung.

Zudem betreut Mutpol rund 70 sogenannte unbegleitete minderjährige Ausländer (UMA), die ohne ihre Eltern nach Deutschland geflüchtet sind. Sie leben mittlerweile weitgehend in eigenen Unterkünften oder in Wohngemeinschaften außerhalb des Schulgeländes.

Knapp 350 Schüler besuchen die Gotthilf-Vollert-Schule von Mutpol, ein Sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit dem Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung, eine staatlich anerkannte Ersatzschule für Grund-, Werkreal- und Förderschule und berufliche Schulen.

Es gibt aber mehrere Außenstellen in vier Landkreisen. Zudem werden rund 25 Jugendliche, die in Maßnahmen im Ausland leben, digital beschult. Meyer schätzt, dass rund zwei Drittel aller Schüler von Mutpol einen Schulabschluss machen. Manche der Schülerbiografien würden auch zum Abitur und späterem Studium führen. (iw)


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