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An die Gotthilf-Vollert-Schule werden Kinder verwiesen, die mit Gewalt und Aggressionen auffallen

(von Ingeborg Wagner, 17. Dezember 2016)

TUTTLINGEN - Gewalt gegen Lehrer ist an Tuttlinger Schulen so gut wie kein Thema. So war es vor einigen Wochen in unserer Zeitung zu lesen, nach einer Umfrage unter Schulleitern. "Wir erleben es hier oft anders", sagen Pädagogen der Gotthilf-Vollert-Schule in Tuttlingen. Sonderschullehrer Matthias Schmidt berichtet von massiven Beleidigungen, denen er nahezu täglich ausgesetzt ist: "Wir werden von Schülern bespuckt, geschlagen und getreten."

Sonderschule – so hat man früher zur Gotthilf-Vollert-Schule gesagt. Heute heißt es "Sonderpädagogisches Bildungsberatungszentrum mit Schwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung". In den vergangenen fünf Jahren ist die Schülerzahl der Vollert-Schule um rund Hundert auf nun 360 Kinder und Jugendliche gestiegen. Auch sogenannte Überprüfungsaufträge nehmen zu, also die Bitten von Eltern beziehungsweise Schulen, auffällige Kinder oder Jugendliche zu begutachten. "Wir sind an allen Schulen beratend tätig, auch an Gymnasien", sagt Nicole Locher, stellvertretende Schulleiterin.



Beleidigen, spucken, treten: Immer mehr Schüler werden ausfallend. FOTO: ARC

Grenzen setzen

Matthias Schmidt arbeitet im Intensivschulbereich der Vollert-Schule mit Kindern und Jugendlichen mit seelischen Beeinträchtigungen. "Die Belastung für uns Pädagogen ist so, dass wir fast jeden Tag an unsere Grenzen kommen", sagt er. Mit Bedürfnisaufschub kommen die jungen Menschen nicht zurecht, sie fordern die volle Aufmerksamkeit und Zuwendung der Betreuer, jederzeit. Auch wenn das Verhältnis Lehrer-Schüler aufgrund des engen Settings sehr intensiv ist, ist das nicht zu schaffen.

Die Schüler rasten aus, sie randalieren und schreien. Grenzen setzen, Grenzen einhalten, mit Anfeindungen und Aggressionen umgehen - das erfordert von den Pädagogen einen hohen professionellen Umgang mit den Schülern. Deshalb gibt es regelmäßig Fortbildungen im Bereich Gewaltprävention und Deeskalation. Bei zielgerichteten, absichtlichen Angriffen schaltet Rektor Volker Schmidt die Polizei ein. Bei emotionalen Ausnahmesituationen mache das keinen Sinn. Hier helfe das Gespräch, manchmal auch mit Beteiligung von JuKoP-Mitarbeitern, einer Kooperation zwischen dem Jugendamt des Landkreises und der Polizei.

Andreas Knupfer, ein Realschullehrer, der seit sechs Jahren in der Werkrealschule der Gotthilf-Vollert-Schule unterrichtet, kennt ebenfalls Beleidigungen unterster Schublade durch seine Schüler, auch körperliche Gewalt komme vor, wenn sie auch nicht alltäglich sei. Respektlosigkeiten und Grenzüberschreitungen nehmen zu, auch außerhalb der Schule: in Freizeit, Familie und Sport.

"Wir brennen für die Kinder"

Viele Pädagogen mit einer Ausbildung für Regelschulen sind im Kollegium der Vollert-Schule vertreten, auch Gymnasiallehrer. Warum? Sie könnten es an anderen Schularten wahrscheinlich deutlich einfacher haben. "Wir brennen für die Kinder", nennt Nicole Locher stellvertretend für alle Kollegen ihre Motivation, die Konflikte und Übergriffe auszuhalten. "Wir haben Lust, diese Kinder zu unterrichten, uns für sie einzusetzen und Perspektiven zu entwickeln." Oft seien sie die ersten, die den Schülern Grenzen aufzeigen. "Das müssen wir aushalten", sagt Knupfer. Rektor Schmidt fügt hinzu: "Wir sind der Reparaturbetrieb der Gesellschaft." Bevor Schüler Schwierigkeiten machen, haben sie welche, die gelte es zu beheben. "Jede Krise ist aus meiner Sicht aber auch eine Chance für eine Beziehung."

Die Gotthilf-Vollert-Schule

von Mutpol – diakonische Jugendhilfe – ist eine staatlich anerkannte Ersatzschule und reicht vom Grundschul- bis Berufsschulbereich. Sie hat die Aufgabe, junge Menschen in schwierigen Lebenssituationen, die in Regelschulen nicht mehr tragbar sind, so zu fördern und zu unterstützen, dass sie – nach der Auszeit bei Mutpol – wenn möglich zurück ins Regelschulsystem gehen können. Sie hat den Hauptsitz im Mutpol-Gelände in Tuttlingen und unterhält zehn Außenstellen, eine Frühberatung und eine Online-Beschulung. Zudem gibt es Außenklassen an Regelschulen in Spaichingen, Wurmlingen und Fridingen. "Diese Anzahl wird weiter steigen", so die Prognose des Schulleiters. Für das Schuljahr 2017/18 hat die Schule einen Antrag auf Realschulbildungsgang gestellt, die mündliche Zusage des Regierungspräsidiums liegt vor. Schulleiter Schmidt wird zum Ende dieses Schuljahres in Ruhestand gehen. Er hätte bereits diesen Sommer altersgemäß gehen können, doch er hat ein Jahr dran gehängt. Die Stelle wurde überregional ausgeschrieben.
 

Ansichtssache: Offen mit Problemen umgehen

(von Ingeborg Wagner, 17. Dezember 2016)

Friede, Freude, reines Glück: So hat der Großteil der Schulleiter in Tuttlingen bei der Umfrage unserer Zeitung zu Gewalt gegen Lehrer die Situation an ihren Schulen dargestellt. Probleme? Gibt es bei uns nicht! Nun können wir Journalisten nur das schreiben, was wir – offiziell – gesagt bekommen. Auch wenn wir uns darüber wundern. In diesem Fall haben wir uns sogar sehr gewundert. Auch wir haben schulpflichtige Kinder. Das, was uns von ihnen gespiegelt wird, ist vielfach alles andere als heile Welt. Übrigens auch an den Gymnasien.

Die Aussagen der Pädagogen der Tuttlinger Vollert-Schule belegen das. Denn die deutlich steigende Zahl an Schülern kommt ja nicht von irgendwo – es sind Kinder und Jugendliche aus Regelschulen, die in den sonderpädagogischen Einrichtungen aufschlagen. Nur wird hier offen mit Problemen umgegangen, die Herausforderungen angenommen. Nicht nur aus dem profanen Grund heraus, dass die Schüler nicht einfach an andere Einrichtungen weitergereicht werden können - weiter runter geht es nicht mehr.

Mehr Offenheit würden wir uns von und an anderen Schulen wünschen. Als Journalisten wie als Eltern. Denn in dem Moment, in dem die rosarote Brille übergestülpt und Auffälligkeiten unter den Teppich gekehrt werden, bleiben Menschen auf der Strecke: Kinder ebenso wie Lehrer.

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