• Herzlich Willkommen bei Mutpol
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TUTTLINGEN – Das Leben schreibt die tollsten Geschichten. Eine besonders kuriose erlebten die Rietheimer Sigrid und Klaus Schwarz am anderen Ende der Welt. Dort lernten sie zufällig den US-Amerikaner Rudi Walter kennen, für den Tuttlingen kein Fremdwort ist.

Das Ehepaar war gerade mit dem Kreuzfahrtschiff "Celebrity Infinity" in Richtung Kap Horn unterwegs, als es im Aufzug zu Deck vier auf Theresia und Rudi Walter traf. Nichts Besonderes, könnte man meinen, reisefreudige Deutsche sind ja mittlerweile überall anzutreffen. Doch rasch entpuppten sich die beiden US-Amerikaner als gebürtige Süddeutsche. Doch es kommt noch besser: Als Klaus Schwarz daraufhin Tuttlingen erwähnte, klingelte es bei Rudi Walter. Denn hier war der Mann aus Michigan drei Jahre lang als Waisenkind untergebracht.


Leiter Dieter Meyer (links) zeigte den deutschstämmigen Amerikanern (von links) Rudi und Theresia Walter sowie den Rietheimern Klaus und Sigrid Schwarz das Mutpol-Gelände. Foto: Mark Hänsgen

"Das zeigt, wie klein die Welt ist", brachte es Theresia Walter auf den Punkt. Schnell freundeten sich die Paare während der Reise im Dezember 2013 an - es folgte eine Einladung in die alte Heimat. Jetzt spürte Rudi Walter seiner eigenen Vergangenheit nach. In Tuttlingen besuchte er die diakonische Jugendhilfe Mutpol, die aus dem Waisenhaus hervorging. Gesamtleiter Dieter Meyer zeigte dem Quartett das heutige Gelände. Mit leuchtenden Augen erinnerte sich der Deutsch-Amerikaner an die 50er-Jahre und zeigte seinen alten Schwimmschein, den er noch in Deutschland machte. "Es hat sich alles verändert. Nichts sieht mehr so aus, wie es früher war", sagte Walter. Dort, wo einst das Heim für etwa 100 Kinder stand, sei nun die Albert-Schweitzer-Schule. Und dort, wo er früher mit den anderen Jugendlichen Äpfel pflückte, seien nun Wohngebiete.


Im Tuttlinger Waisenhaus ist gemeinsam gespeist worden. Die Kinder schliefen früher in großen Sälen und halfen bei der Feld-, Garten- und Hausarbeit. Foto Mutpol

"Jedes Kind hatte damals einen eigenen kleinen Garten", erzählte er. Es habe immer einen kleinen Wettbewerb um den schönsten gegeben. "Der Sieger bekam dann Süßigkeiten und durfte beim Essen ganz vorne bei der Heimleitung sitzen." Klaus Walter lebte von 1953 bis 1956 im Waisenhaus, das er schon mit 14 Jahren wieder verließ, als seine Mutter heiratete. Auch seine Schwester war dort untergebracht, sein Bruder hingegen beim Onkel. Es sei eine schöne Zeit gewesen, mit Frühsport, Wanderungen zur Ruine Honberg und Baden in der Donau, erinnerte er sich. Nach seinem Aufenthalt zog er zurück in seine Heimat Bad Cannstatt, wo er zum Dreher ausgebildet wurde.

Nach einem kurzem Aufenthalt in einem Stuttgarter Lehrlingsheim, folgte er seiner Mutter, die sich getrennt hatte, Anfang der 60er in die Vereinigten Staaten. Walter: "Ich wollte dem Wehrdienst entgehen."

Er lebte den amerikanischen Traum

Wegen mangelhafter Englisch-Kenntnisse wurde er auch in den USA nur gemustert und nicht eingezogen - damals galt dort die Wehrpflicht. Froh über diese Entscheidung, lebte der Deutsche in der Autostadt Detroit anschließend den amerikanischen Traum.

Mit schwäbischem Fleiß schaffte er teils zwölf Stunden und sieben Tage die Woche in einem deutschen Betrieb, der Haushalts-Geräte wie Töpfe und Staubsauger sowie Prototypen produzierte. Über Freunde lernte er 1966 seine Frau Theresia kennen und lieben, sie kam aus Hammelburg in die Staaten. "Es war ein Blind-Date auf Belle Isle, einer Insel im Detroit River", sagte er. Kurz darauf heirateten sie. 1967 erblickte Robert das Licht der Welt und 1972 Ursula. Im Jahr 1980 wagte Rudi Walter den Schritt in die Selbstständigkeit: Mit Freunden gründete er eine Firma für Formenbau, die heute 25 Mitarbeiter beschäftigt und von seinem Sohn geleitet wird.

"Das ist eine spannende Lebensgeschichte", sagte Dieter Meyer, der sich über den Besuch der weitgereisten Gäste sehr gefreut hat. Es komme nämlich nicht häufig vor, dass ehemalige Waisenkinder von ihrer Zeit im Tuttlinger Heim und ihrem weiteren Leben berichten. Er hatte zuvor nach Rudi Walters Akte gesucht, aber nicht alle Unterlagen wiederfinden können. Deshalb seien die Schilderungen des Zeitzeugen umso wertvoller.
Auf diese Weise könne man viel über die Vergangenheit erfahren und gegebenenfalls Missstände wie Gewalt oder sexuellen Missbrauch aufdecken, die es früher vielleicht mal gegeben haben könnte. "Das gab es bei mir nicht. Ich habe hier eine glückliche Zeit verbracht", betonte Walter und lobte die Einrichtung von heute. "Das Gelände und die Häuser sehen richtig schön aus."

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