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DALLWITZ, TUTTLUNGEN - Auf einem Hof in Dallwitz kämpfen Mädchen und Jungen gegen ihre Sucht. Einige auch gegen den Drang, die Schule einfach hinzuschmeißen. Deshalb kommt die nun zu ihnen.

Hans ist glücklich. Der 13-jährige Junge strahlt übers ganze gebräunte Gesicht. "Kunststück, dass ich so gut aussehe. Meine Mama kommt schließlich aus Thailand", sagt er lachend und hält den Daumen anerkennend nach oben. Eine coole Geste, die nicht zuletzt dem Ergebnis seiner erst zurückbekommenen Mathematikarbeit geschuldet ist. Zwei plus steht da auf dem Blatt Papier. Ja, das kann sich durchaus sehen lassen. Gerade erst hat er mit seiner Lehrerin über die erfreuliche Zensur am Telefon gesprochen. Nett sei sie. Wirklich nett, obwohl er sie ja noch nie zu Gesicht bekommen habe.

Leben muss draußen bleiben

Ein Umstand, den sich mancher anderer Schüler vielleicht wünschen würde - auf dem Dallwitzer Hof der Radebeuler Sozialprojekte gGmbH gehört er seit ein paar Wochen zum Therapieplan. "Natürlich nicht in allen Fällen. Einige unserer Bewohner besuchen auch Schulen in der Umgebung. Für andere ist die Möglichkeit, bei uns in der Einrichtung über Computer beschult zu werden, wesentlich geeigneter", erklärt Sozialarbeiterin Sandra Janke. Die 28-Jährige gehört zu einem Team von Spezialisten, das sich seit Juni 2011 im Priestewitzer Ortsteil Dallwitz um suchtkranke Jugendliche im Alter zwischen 14 und 21 Jahren kümmert. Betreut von zwei Erziehern und fünf Sozialpädagogen, einer Psychologin und Suchttherapeutin, Sport-, Ergo- und Arbeitstherapeuten sollen sie hier inmitten der Abgeschiedenheit zurück ins Leben finden.

In einigen Fällen muss das Leben jedoch über Monate hinweg erst einmal draußen bleiben. Für Hans, beispielsweise, der sich durchaus zwar danach sehnt. Aber der nach acht Monaten in Dallwitz begriffen hat, es ist nach eigenem Bekunden für ihn erst mal besser, hierzubleiben als vorschnell zurück nach Dresden in seine Familie zu gehen. "Ich hab schon mit zwölf gewisse Substanzen probiert und dann hatten es meine Eltern auch generell nicht so leicht mit mir", sagt der schwarzhaarige Strubbelkopf verschämt. Viel Unsinn habe er angestellt, aber darüber möchte er nicht so gern öffentlich reden. Deshalb sei ihm der Gang in die Großenhainer Schule auch alles andere als leicht gefallen. Die Mitschüler hätten ihn schon ein wenig von der Seite angeschaut. "Wir hatten irgendwann wieder mit seinen alten Verhaltensmustern zu kämpfen. Also haben wir uns für eine virtuelle Beschulung entschieden." Neben Hans drücken seit November inzwischen zwei weitere Bewohner die Schulbänke des "Virtuellen Klassenzimmers". Ein Angebot zur individuellen pädagogischen Lernförderung, das von der Gotthilf-Vollert-Schule (Mutpol - Diakonischen Jugendhilfe Tuttlingen e.V.) bereitgestellt wird. Die Schüler erhalten per Email an den geltenden Lehrplan angepasste Unterrichtseinheiten, die von den "Mutpol"-Lehrern zusammengestellt wurden. Praktisch bedeutet das in Dallwitz: Hans und seine zwei Mitschüler lernen jeden Tag von 8.15 Uhr bis 11.45 Uhr. Auf dem Stundenplan stehen während dieser Zeit in jedem Fall die Hauptfächer Mathematik, Deutsch und Englisch. Kombiniert, so Janke, werden sie mit Geografie, Physik, Chemie, Biologie oder Gemeinschaftskunde. "Die Jugendlichen arbeiten während der Unterrichtszeit natürlich unter Aufsicht, wir helfen ihnen und stehen für Erklärungen bereit." Ganz besonders bereit sei man vor allem, wenn Arbeiten geschrieben würden. Hilfsmittel und Nachschlagewerke seien in Dallwitz natürlich genauso verboten wie in einer normalen Schule auch. "Wenn ich die Arbeit nicht absigniere und unterschreibe, dass alles ohne Zwischenfälle gelaufen ist, schreibt die Lehrerin in Tuttlingen eine Sechs darunter." Das vielfach ausgezeichnete Konzept des "Virtuellen Klassenzimmers" werde seit 2001 ständig weiterentwickelt und könne beeindruckende Erfolge vorweisen. So hätten in den vergangenen zehn Jahren 87 Prozent der teilnehmenden Schüler erfolgreich ihren Schulabschluss gemacht. Ob auch Hans und seine Mitschülerin Sophie dazu gehören werden, wird sich allerdings erst noch zeigen. Die 14-Jährige plagt sich mit englischen Vokabeln und Zeitformen, die sie in einen Lückentext einfügen muss. Scheu schaut das freundliche Mädchen von ihren Aufgaben hoch. So lange lebt die in Dresden-Löbtau Aufgewachsene noch nicht auf dem Hof. "Ich bin erst fünf Monate hier. Aber ich fühle mich sehr wohl und denke, dass ich auch nicht vor 2014 wieder nach Hause zurück kann." Sophie spricht ruhig und sehr überlegt. Es scheint, als hätte sie in den vergangenen Wochen viel über sich nachgedacht und erfahren. Mittlerweile sei ihr völlig klar, weshalb sie seit der sechsten Klasse kaum noch zur Schule gegangen ist, sich nächtelang herum trieb, bereits am frühen Morgen zur Bierflasche griff und den vergammelten Tag mit Schnaps und falschen Freunden ausklingen ließ. "Ich hatte meinen leiblichen Vater längere Zeit nicht mehr gesehen. Meine Mutti hatte einen neuen Mann, bald bekam sie mit ihm ein Kind. Das alles habe ich wohl nicht verkraftet. Ich wollte doch selber noch in den Arm genommen werden", erzählt Sophie mit leiser Stimme.

Dallwitz war ein Glücksfall

Heute genieße sie während ihrer Kurzbesuche zu Hause die Nähe der neuen kleinen Familie. Oft kuschelt sie mit ihrer Mama, verstehe sich inzwischen mit dem Ersatzvater gut, treffe ihren eigenen Papa wieder und die Schwester sei mittlerweile ein unverzichtbarer Teil ihres Lebens. "Es war ein Glücksfall, dass ich nach Dallwitz kommen durfte", bekennt Sophie. Selbst die Hausaufgaben aus Tuttlingen nehme sie dafür gern in Kauf.

(Sächsische Zeitung – von Catharina Karlshaus)



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